Interview mit Birgit Feldkamp, Teamleitung Suchthilfe im Caritasverband für den Kreis Coesfeld, Lüdinghausen

„Sucht ist ein Abbild unserer Gesellschaft“

Die Diplom-Sozialarbeiterin Birgit Feldkamp ist Teamleiterin Suchthilfe im Caritasverband für den Kreis Coesfeld. In der ländlichen Region gibt es insgesamt drei Suchtberatungsstellen unterschiedlicher Träger, die miteinander kooperieren und sich in ihren Angeboten ergänzen. Die Beratung findet nicht nur vor Ort in der Suchtberatungsstelle, sondern auch per Video-, Telefon- oder Onlineberatung statt. Zudem finden regelmäßige Sprechstunden in Einrichtungen im südlichen Kreisgebiet statt. Bei den Beratungen ist Alkohol das Thema Nummer 1, gefolgt von Cannabis.

Frau Feldkamp, an welche Zielgruppen richten sich die Angebote Ihrer Suchtberatungsstelle?

Unser Publikum ist sehr bunt. Wir wenden uns mit unseren Angeboten an alle Gesellschaftsschichten und Altersklassen. Es ist uns wichtig, Menschen mit einem kritischen Konsum von Suchtmitteln oder Abhängigkeitserkrankungen möglichst frühzeitig zu erreichen. Wir beraten nicht nur Betroffene und ihre Angehörigen, sondern auch Arbeitgeber und Institutionen, zum Beispiel Alteneinrichtungen. Bei manchen Projekten stehen bestimmte Zielgruppen im Vordergrund. Um nur einige Beispiele zu nennen: Es gibt einen moderierten Treff für Eltern, deren Kinder ein problematisches Mediennutzungsverhalten zeigen oder Alkohol bzw. illegale Drogen konsumieren. Aktuell setzen wir Ergebnisse des Bundesmodellprojekts „TANDEM“ für Menschen mit geistigen Behinderungen und Suchtproblemen in die Praxis um.

Aus welchen Gründen kommen Menschen zu Ihnen in die Suchtberatung?

Es geht immer darum, dass sie Klärung suchen in allen Fragen rund um das Thema Sucht. Menschen greifen aus vielfältigen Gründen zu Suchtstoffen oder entwickeln ein süchtiges Verhalten. Die Entwicklung einer Abhängigkeit ist ein langer Prozess. Glücklicherweise kommen viele Menschen inzwischen frühzeitiger zu uns als noch vor 10 Jahren. Wenn man zu lange damit wartet, sich Unterstützung zu holen, hilft oft nur ein stationärer Aufenthalt.

Was wird in der Suchtberatung thematisiert?

Es  geht es um eine Vielzahl sozialer Probleme wie z.B. Beziehungsproblematiken, Trennungen, Burnout. Während der Coronakrise waren – mehr als zu anderen Zeiten – Vereinsamung  und Überforderung oft Gründe für Suchtmittelkonsum. Bei Jugendlichen sind  Perspektivlosigkeit und Konflikte im Elternhaus oft Themen. Um einen kritischen Konsum frühzeitig zu erkennen, ist es hilfreich, den eigenen Suchtmittelkonsum zu hinterfragen, beispielsweise: Setze ich Substanzen bewusst zur Entspannung ein? Habe ich Gewissensbisse wegen meines Konsums? Hat eine Person aus meinem sozialen Umfeld mich auf mein Konsumverhalten aufmerksam gemacht?

Welche Rolle spielen Sie im Beratungsprozess?

Als Beraterinnen und Beratern kommt uns eine sehr zentrale Rolle zu. Wir arbeiten akzeptierend, wertfrei, lösungsorientiert und zieloffen. Das heißt: Wir haben nicht im Kopf, wie der Weg zu gehen ist. Es geht darum, Lebensbewältigungskompetenzen zu stärken. Ziele geben wir nicht vor, sondern entwickeln sie gemeinsam mit der Klientin oder dem Klienten. Wir schauen darauf, was wir individuell anbieten können. Damit unsere Klientinnen und Klienten von Anfang an wissen, was sie erwartet, haben wir einen klar strukturierten Beratungsprozess entwickelt: Zunächst führen wir 3 bis 5 Informationsgespräche. Ergänzend gibt es eine Motivationsgruppe. Danach empfehlen oder vermitteln wir bei Bedarf in weitere Angebote. Etwa eine ambulante Reha Sucht, die im Caritasverband im Suchthilfeangebot verortet ist, einen geeigneten Kurs, wie beispielsweise das Selbstkontrolltraining „Skoll“, das einen verantwortungsbewussten Umgang mit Suchtmitteln anregt, oder auch eine stationäre Therapie.

Worin liegt das Potenzial der Suchtberatung?

Das Thema Sucht ist durch den gesellschaftlichen Wandel ständig in Entwicklung. Dadurch, dass sich die Gesellschaft ständig weiterentwickelt, müssen wir mit unseren Angeboten mitgehen. Es ist uns wichtig, aufmerksam und zeitnah auf neue gesellschaftliche Strömungen zu reagieren. Insbesondere die Digitalisierung ist dabei ein wichtiger Punkt.